Was heißt eigentlich "Umkippen" eines Teiches?
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Abgeschickt von Wolfgang am 10 Juli, 2003 um 21:40:42:
Einige Bemerkungen zum plötzlichen Massensterben von Fischen, Kaulquappen u.a.
Ich bitte im Vorfeld um Entschuldigung, wenn der folgende Beitrag belehrend wirkt, aber ich meine, dass jemand, der einen Gartenteich besitzt und damit - wie Quappelix schon oft betonte - ein großes Stück Verantwortung (besonders für zuwandernde heimische Arten) übernimmt, einige Grundkenntnisse über die Wasserchemie haben sollte. Ich will Euch auch nicht mit chemischen Formeln quälen, die kann man in der Fachliteratur nachlesen, aber das Phänomen "Umkippen" ist wichtig genug, genauer beleuchtet zu werden.
Zunächst muss man wissen, dass die meisten untergetauchten (submersen) höheren Pflanzen und alle Algen (sie bilden die Hauptmasse der Pflanzen!) ihren Kohlenstoffbedarf nicht direkt aus CO2 decken (wie die Landpflanzen), sondern aus löslichen Kohlenstoffverbindungen, den sogenannten Bikarbonaten. Wenn denen Kohlendioxid entzogen wird, entstehen unlösliche Karbonate. Drum sind untergetauchte Gegenstände, wie Steine oder Blätter, nach längerer Besonnung oft mit einer hauchdünnen milchigen Kruste überzogen (merkt man gelegentlich beim Baden). Die Karbonate werden bei Dunkelheit durch sich lösendes CO2 aus der Luft wieder aufgelöst (in Bikarbonat zurück geführt) und der Prozess kann von vorn beginnen.
Soweit so gut und "normal".
Sind zu viele Algen vorhanden (also in "überdüngten" Gewässern), reicht die Reserve an Bikarbonat nicht aus. Die Pflanzen werden so kohlenstoffhungrig, dass sie ihre Strategie ändern und die unlöslichen Karbonate angreifen, um an den begehrten Kohlenstoff zu kommen. Dabei entstehen Oxide, die wir zum Beispiel als "Branntkalk" kennen. Jeder weiß, wie gefährlich (ätzend) die sind, weil sie in Verbindung mit Wasser zu Hydroxiden werden. Dieser auch als "biogene Entkalkung" bezeichnete Vorgang treibt den pH-Wert steil nach oben!
Wie kommt es nun, dass Fische und viele andere Tiere dies nicht vertragen?
Die meisten Kiemenatmer entsorgen ihr beim Stoffwechsel anfallendes (hochgiftiges) Ammoniak (NH3) nicht wie wir über die Nieren (Harnstoff) sondern geben ihn direkt über die Kiemen an das Wasser ab. Ammoniak löst sich aber nur in saurem oder neutralem Wasser gut (pH £ 7). Steigt der pH-Wert weit über 9 und ist es dazu noch warm, löst es sich gar nicht mehr. Die Tiere vergiften sich sozusagen selbst. Die ganze Kettenreaktion wird also vor allem durch (oft mikroskopisch kleine) Algen bewirkt, die sich "ganz normal" durch Photosythese ernähren und spielt sich daher nur bei Licht ab (also in den oberen Wasserschichten und bei intensiver Besonnung). Fische, jüngere Kaulquappen und andere Kiemenatmer haben nun zwei Möglichkeiten:
1. Sie gehen auf Grund, wo der pH-Wert kleiner ist. Dort werden sie ihr Ammoniak los, müssen aber ersticken, weil Sauerstoff fehlt.
2. Sie bleiben oben. Dort können sie frei atmen, vergiften sich aber an ihrem eigenen Ammoniak (Autintoxikation nennt man das).
Die meisten Arten "entscheiden" sich für die erste Variante.
In jedem Fall treiben sie - aufgetrieben durch die gasbildende Tätigkeit von Bakterien - nach einiger Zeit bauchoben und sind mausetot.
Die fatale Kette - letztlich ausgelöst durch zu viel Nährstoffe - ist endlos, denn nun verfaulen die Fische. Die dadurch bewirkte Sauerstoffzehrung macht auch den letzten Überlebenden den Garaus. Was nach diesem stinkenden Prozess übrigbleibt, ist zunächst wieder klares Wasser. Alle vorher in den Tieren gebundenen Nährstoffe sind nun aber wieder frei und der ganze Schlamassel geht von vorn los. Dieser vor allem im Sommer in kleinen und mittleren Stehgewässern, gelegentlich sogar in Seen und langsamen Flüssen beobachtbare Effekt hat also nichts mit "Gift" im Sinne von "Chemie" zu tun. Schon relativ geringe Mengen "Dünger" (egal ob organisch oder mineralisch) genügen, um das letztliche "Umkippen" zu bewirken.
In den meisten Fällen hat also doch der Mensch Schuld, weil er - nachlässig oder unwissend - Gewässer überdüngt (eutrophiert), was natürlich um so schneller geht, je kleiner ein Gewässer ist.
Und damit sind wir wieder beim Gartenteich und bei der Frage, was man tun kann, um dieser Zwickmühle zu entgehen.
Sind Nährstoffe erst einmal gelöst, helfen keine Filter und schon gar nicht alle möglichen chemischen Keulen. (Traue nie einem "Fachmann", wenn er dir etwas verkaufen will!)
Am besten, man stoppt jede Nährstoffzufuhr (Fischfutter) und sorgt für Nährstoffaustrag: Entschlammen, Wasser wechseln, übermäßiger Besatz (Tiere wie Pflanzen) raus usw..
In Kenntnis der erwähnten Zusammenhänge fährt man am besten, wenn man es gar nicht erst soweit kommen lässt und von Anfang an ein Gleichgewicht zwischen Nährstoffeintrag und
-austrag anstrebt. Dabei können übrigens Kaulquappen (wie auch Insektenlarven u.a.) sehr fleißige Helfer sein, weil sie ja Nährstoffe (Biomasse) aufnehmen und dann damit das Gewässer verlassen. Solange dies nur durch Laubfall und Regen ausgeglichen wird (der heute auch nicht ganz nährstofffrei ist) und nicht etwa durch Fischfutter, hält sich auch ein kleiner Teich lange stabil. Amphibienfreunde sollten also über Fische im Teich nicht nur kritisch nachdenken, weil die Laich und Kaulquappen fressen!