Ich kann Deine Sicht nachvollziehen – niemand verliert gerne ein handzahmes „Haustier“. Die Tiere, die wir uns als Haus- und Gartengenossen halten, befinden sich in unserer Obhut und bedürfen, da wir sie ihrem natürlichen Habitat entnommen und durch Züchtung unfähig (oder schlechter fähig) zum Überleben in freier Natur gemacht haben, unserer Pflege und unseres Schutzes.
Aber auch der
Reiher möchte natürlich leben und: sich zu ernähren gehört ebenfalls dazu. Und wieder ist es der Mensch, der den Lebensraum der in freier Natur lebenden Wildtiere beschnitten, verändert und teilweise zerstört hat. Gewässer werden in unterirdische Kanäle verlegt oder gleich ganz trockengelegt, Moore werden durch Torfabbau zerstört, Flüsse begradigt – die Reihe an Umweltzerstörungen ist lang. Und so kommen die Wildtiere, die in ihrem natürlichen Umfeld keine ausreichende Nahrung mehr finden, zu uns in die Dörfer und Städte. Reiher, Füchse, Rehe, Maulwürfe, Kormorane, Wildschweine oder gar Wölfe – können wir ihnen verdenken, dass sie – gleich uns – einen Selbsterhaltungstrieb haben und nach Nahrung und Unterschlupf suchen?
Ich persönlich empfinde immer Unbehagen, wenn ich lese, dass ein Teichbesitzer seinen Teich mit Netzen, Gittern oder Drähten überspannt, um den Reiher abzuwehren. Zum einen stelle ich mir das nicht schön anzusehen vor, zum anderen habe ich Sorge, ob die Vögel dabei zu Schaden kommen. Ich muss aber auch ehrlich sagen, dass ich noch nie gehört oder gelesen habe, dass ein Reiher in solchen Strippen zu Tode gekommen wäre. Da lasse ich mich gerne von Euch belehren.
In meinem Teich schwimmt eine sich jährlich stark vermehrende Menge von Goldrotfedern, die viele Jahre sich selbst überlassen blieb. Der Teich ist sehr naturnah (bis auf einen Luftsprudler) und die Fische werden nicht gefüttert. In den drei Jahren, in denen ich den Teich nun mein eigen nennen darf, habe ich das Ganze erstmal nur beobachtet und die Eingriffe in Bepflanzung und Reinigung des Teiches sehr begrenzt gehalten. Und ich sehe den Reiher, der (vermutlich) täglich vorbeikommt und sich die kleinen Fische holt und den Eisvogel, der sich auch bisweilen blicken lässt. Ich für meinen Teil bin froh, dass die Natur hier ein ziemlich gutes Gleichgewicht zu halten scheint und die Fische den Froschlaich regulieren und die
Frösche die Mückenpopulation und die Vögel eben die Menge an Fischen reduzieren. Noch nie habe ich zum Glück an meinem Teich einen verletzten Fisch gefunden, der von einem Vogel dort halbtot verloren worden wäre. In den vergangenen drei Jahren habe ich überhaupt nur drei tote Fische im Wasser gefunden, was ich bei der Größe des Teiches und der Menge an Fischen für eine ziemlich gute Quote halte.
Ich verstehe, um den Bogen zum Anfang zurück zu schlagen, dass Teichbesitzer, die (in jeder Hinsicht) wertvolle Fische in ihren Teichen haben, diese schützen möchten. Und ich sehe den Interessenskonflikt zwischen Natur und Kultur, den es so ja nicht nur am Gartenteich gibt. Es tut mir jedes Mal sehr leid zu lesen, wenn eine/r von Euch geliebte Fische an den Reiher verliert und ich verstehe den Zorn. Ich selber freue mich dennoch jedes Mal, wenn ich diesen wunderschönen, majestätisch aussehenden Vogel an meinem Teich erblicke. Ich mag den Gedanken, dass mein Garten – trotz aller kulturell bedingten Veränderungen – Teil der Natur ist.
Ich habe – natürlich! – auch keine Lösung für diesen Interessenskonflikt. Ich wünschte mir nur, dass auch die zornigen Teichbesitzer die Schönheit und Wichtigkeit der Wildtiere sehen können und deren Recht auf Nahrung und Lebensraum nicht als persönlichen Angriff werten. Die Reiher haben keine bösen Absichten, sie möchten einfach nur leben, sich ernähren und ihre Jungen aufziehen. Genau wie die Goldfische. Genau wie wir.